Mittwoch, 20. April 2011

Das wahre Freiwilligenleben...Teil 2: die öffentliche Schule

Diesen Eintrag zu verfassen fällt mir wirklich nicht leicht und ich schiebe es seit Wochen vor mir her... Ich möchte versuchen alles so wirklichkeitsnah wie irgend möglich darzustellen, bin mir aber sehr bewusst darüber, dass dies wenn auch nur ansatzweise, so gut wie unmöglich ist... Ich versuche es einfach trotzdem, auch wenn es eventuell ein wenig länger wird. Dafür entschuldige ich mich schon jetzt! 
Bevor ich jedoch explizit von der Schule berichte, möchte ich gern noch ein paar andere wichtige  Informationen weitergeben.

Einem eher widrigen Zustand habe ich es zu verdanken, auch einen Blick in diese Schule werfen zu können. Denn meine Gastmutter hat - wie viele andere Kolumbianer auch - mehrere Jobs.  
Montags bis freitags arbeitet sie von 7:00 - 15:00 am Colegio aleman, also an der privaten Schule (siehe: Teil 1: Die private Schule). Danach fährt sie jeden Tag sofort in die öffentliche Schule.
Ich fand es wahnsinnig interessant zu erfahren, dass sich die Wohnlage sich auch in den estratos, also den sozial-ökonomischen Verhältnissen widerspiegelt (Informationen dazu auf spanisch... Wikipedia, HIER). Die Untergleiderung beginnt bei estrato 1, was dem ärmsten und einfachsten Verhältnissen entspricht. Dementsprechend steht estrato 6 für die höchsten und besten Lebensverhältnisse. Auf der Informationsseite ist auch nachzulesen, dass nur etwa 5% der kolumbianischen Bevölkerung in den 2 höchsten Statusklassen lebt! Noch drastischer und eindrucksvoller ist es, wenn man die oberen drei estratos zusammen zählt und nur auf 10% der Bevölkerung (!!!) kommt...

Barranquilla ist auf Grund seiner besonderen geografischen Lage an einem Fluss vertikal gegliedert. Im Süden, wo auch das Zentrum der Stadt liegt, findet man hauptsächlich estrato 1 und 2. In Richtung Norden verändert sich das Bild der Stadt drastisch. Im äußersten Norden findet man dann hauptsächlich nur noch sehr gute Wohngegenden, vom estrato 5 und 6. 
In welchem estrato man lebt, muss man hier bei vielen Gelegenheiten angeben und diese Information hat weitreichende Auswirkungen. Die Preise für Strom, Internet, Wasser, Versicherungen und viele andere Fixkosten richten sich genau danach. 

Ich lebe hier bei meiner Gastmutter im estrato 5. Wir haben ein Haus, mit einer gemütlichen Terasse vor, und einem kleinen Patio hinter dem Haus. Das Haus ist wundervoll und geräumig und wirklich  sehr geschmackvoll möbliert! Ich habe hier zum Leben alles, was für mich sonst auch wie selbstverständlich - in Kolumbien für viele jedoch unerreichbar und nicht vorhanden ist So  gibt es feste Mauern, Wände und Böden, verschließbare und vergitterte Fenster in allen Räumen, einen eigenes Zimmer für jeden von uns, einen Kühlschrank, Ventilatoren, immer fließend Wasser und Strom, Internet und sogar eine Emplayada, die 6 Tage die Woche 24h im Haus ist. 

Schon hier wird eigentlich mehr als deutlich, dass ich hier in ganz besonderen Verhältnissen untergekommen bin und diese genießen darf. Nur wenige leben hier so gut wie ich zur Zeit! Dabei darf jedoch auch nicht vergessen werden, dass meine Gastmutter dafür sehr viel und auch sehr hart arbeiten muss. 12Stunden-Tage sind dabei eher die Regel als eine Ausnahme. 
Die Schule von der ich heute berichte liegt im estrato 1. Das Schulgeld, welches hier entrichtet werden muss beträgt übrigens 20.000COP pro Jahr (zum vergleich, auf dem Colegio aleman sind es etwa 650.000COP pro Monat). Schon auf der Autofahrt hin zur Schule merke ich, dass ich nun einen ganz anderen Teil von Barranquilla kennen lernen werde. Die Häuser sind nicht mehr so klein, mit begrünten Garten und hohen abschreckenden Sicherheitszäunen davor. Nein alles sieht ein klein wenig unordentlicher, chaotischer und sozuagen wilder aus. Das wirkt auf meine Augen fremd, aber auch exotisch, bunt und interessant. 

Noch einmal abbiegen, vorbei an einfachsten Häusern, mit davor sitzenden Alten und spielenden Kindern, noch einmal umfahren wir tiefe Schlaglöcher und rollen vorbei an der Tienda an der Ecke und haben schließlich die Schule erreicht. Meine Gastmutter zeigt sie mir von weitem und mir bleibt der Mund offen stehen. Schon aus der Entfernung kann ich erkennen das ich gleich eine ganz andere Welt kennenlernen und sozusagen einen wirklichen Blick über den Tellerrand werfen kann.
Nachdem wir an der schweren eisernen Eingangstor angeklopft und von einer der Aufsicht habenden Lehrkräfte eingelassen worden sind, ist es als richten sich 400 Augenpaare nur auf mich. Ich fühle mich wie ein blinkender Alien oder eben ein weißer Elefant, der den Schulhof betritt. Ich werde sofort unsicher und fühle mich nicht wohl. Schnell überquere ich, beobachtet von allen Schülern, die sich gerade in der Pause befinden, den Hof. Meine Gastmutter bringt mich zu den Kindern der ersten Klasse. Hier fängt das Abenteuer erst richtig an. Die Kinder sind erst sehr zurückhaltend und scheu, aber nach etwa 1-2 min bricht das Eis und voller Neugierde kommen sie auf mich zu. Sie löchern mich mit unendlich vielen Fragen (sie wollen zunächst immer wissen, wie ich heiße und anschließend ob ich verheiratet bin und Kinder habe). Ich habe größte Schwierigkeiten, sie überhaupt zu verstehen, da hier auch ein anderes Spanisch gesprochen wird, als in den "besseren" Gegenden... 

Ich bin schnell unendlich angetan und wirklich berührt, durch die wahnsinnige Fröhlichkeit, Energie, Neugierde und das ansteckende Lachen der Kinder hier. Vor den Räumen versammeln sich dann regelmäßig auch ältere und größere Schüler, die alle mit mir sprechen und wir Fragen stellen möchten.
Was ich anfangs als eher misstrauische und argwöhnische Blicke gedeutet und empfunden habe, stellt sich also schnell heraus als pure Neugierde. Viele hier haben nie zuvor einen weißen Menschen gesehen, geschweigen denn mit ihm geredet oder einen angefasst. Manch einer wird dieses Viertel und seine Straße hier im Leben nicht verlassen. Dies zu verstehn half mir auch sehr mit den Blicken in Barranquilla im Allgemeinen besser umzugehen. 

Viele dieser Kinder haben nichts außer der Kleidung, die sie tragen und sind trotzdem so unsagbar fröhlich. das hat mich sehr berührt. Die Umstände unter denen hier gelernt werden soll sind ebenfalls nur schwer zu beschreiben. Trotz der Hitze, die hier JEDEN TAG im JAHR herrscht, gibt es kaum Ventilatoren geschweige denn Klimaanlagen. Es gibt auch keine Türen oder verglaste Fester, so dass der Lärm ein normales unterrichten per se so gut wie unmöglich macht. Eine Sporthalle oder gar Sportgeräte fehlen gänzlich. Die Klos funktionieren nicht. Eine Mensa fehlt, nur ein Imbiss ist vorhanden. Eine Bibliothek gibt es ebenso wenig, wie ein Lehrerzimmer. Auch Schreibtische für die Lehrer sind kaum vorhanden. Die Wände sind alle bekritzelt, die Stühle kaputt.lediglich ein Computerraum mit Internetzugang ist der ganz Stolz der Schule.
"Lehrertisch"
Wie hier Unterricht stattfindet und die Schüler etwas lernen ist mir bis heute schleierhaft. Die Lehrer müssen fast schon schreien und auch Materialien gibt es kaum. ganz abgesehen davon haben viele Schüler kaum Motivation zu lernen, da sie nicht daran glauben, ihren estrato jemals verlassen zu können. Dabei stellt Bildung oftmals den einzigen Weg aus der Armut heraus dar... Viele bekommen mit 12, 13 oder 14 Jahren ein Kind und können die Schule fortan gar nicht mehr besuchen... 
 

Ich besuche die Schüler nun mehrmals wöchentlich und versuche irgendwie für sie da zu sein, vor allem für die Kleinsten, die sich so sehr nach Aufmerksamkeit sehen. Aber ich spreche auch mit den Älteren, berichte von einem Land, von dem sie noch nie etwas gehört haben, erzähle von Jahreszeiten, die sie nicht kennen und betone vor allem immer wieder wie wichtig die Ausbildung für sie ist... 
 
Ich bin unedlich dankbar, dass ich auch diese Schule kennenlernen darf auch wenn die wahnsinnigen Unterschiede und die wahnsinnig tief klaffende Lücke zwischen diesen Kindern und denen der Privatschule und nicht zuletzt auch der Unterschied zur "Welt" in der ich eigentlich lebe, mich bisweilen einfach emotional überfordert. 

Ein wirklicher Blick über den Tellerrand eben... 

Dienstag, 19. April 2011

Das wahre Freiwilligenleben...Teil 1: die private Schule

Bisher berichtete ich hier nur von Urlauben und sagenhaften Kurztrips... einen Einblick in mein eigentliches tägliches Aufgabengebiet habe ich jedoch noch gar nicht gegeben... 

Lieber Leser, das muss und soll sich ändern... Asche auf mein Haupt... Haben doch einige tatsächlich gedacht ich mache hier nur Urlaub und faulenze den ganzen Tag... Damit lagen diese Personen aber meilenweit daneben! Damit dieser schändliche Irrtum und Falscheindruck aufgeklärt werden kann, hier nun endlich Einblicke in die Frewilligenarbeit und meinen Alltag (der übrigens immer um  4:45UHR MORGENS bzw. nachts (!!!!!!!!!!!!) beginnt!

Meine Einsatzstelle ist das Colegio aleman in Barranquilla. Das ist eine private Schule, an der die Schüler vom Kindergarten an, bis hin zur 11. Klasse Deutschunterricht haben und sogar einige Fächer, in den oberen Klassen, auf deutsch unterrichtet werden. Privatschule heißt, dass die Eltern jeden Monat (hier sind es etwa 600.000 - 700.000COP --> 250-300Euro) Geld an die Schule bezahlen. Dies kann sich in Kolumbien  nicht jeder leisten, um nicht zu sagen für viele Menschen hier ist das ein Vermögen. Dementsprechend gesichert ist hier alles... ein privater Sicherheitsdienst bewacht das Schultor, jedes herein und heraus fahrende Auto wird mit strengem Blick gemustert. Auch auf dem weitläufigen Gelände an sich,  patroullieren verschiedene Wachmänner.
Das Schulgelände ist riesig. Es gibt viele verschiedene Gebäude, für die einzelnen Klassenstufen, eine wahnsinnig gut ausgestattete Bibliothek, eine Sporthalle, einen Sportplatz, ein Schwimmbad...  Der Unterricht beginnt morgens um 7 und endet um 15 Uhr... 
 
Die Schüler sind hier etwa zwischen 5 und 18 Jahre alt. Ich finde es toll, dass alle gemeinsam ihre gesamte Schulzeit durchleben.  Davon abgesehen, erlebe ich die Schüler hier wie - wer hätte das gedacht - bei uns auch: frech, laut, wild und verspielt :-D In den oberen Klassen dreht sich wie überall auch alles nur um die Jonas brothers, die neuste Musik, das "Wer-geht-gerade-mit-wem-Spiel" (das hier durchaus ernst genommen wird) und eben andere ganz alltägliche Jugendprobleme und -interessen. Diese werden dann auch aktiv  lebhaft und zeitnah (sprich gerne auch IM Unterricht), mit Hilfe des Blackberry, auf facebook kollektiv erörtert! 
Ich arbeite jedoch hauptsächlich mit den 1., 2., 3. und 4. Klassen und das macht wahnsinnig viel Spaß! Einmal pro Woche bin ich in jeder dieser 13 Klassen und arbeite mit einer Kleingruppe von 5-7 Schülern zusammen. Diese werden von den Lerherinnen ausgesucht. So habe ich die Chance ganz gezielt mit Ihnen deutsch zu üben! Dabei stehen mir alle Möglichkeiten offen... manchmal spielen wir Memory oder lesen Geschichten, hören deutsche Kinderlieder, spielen Kreisspiele, üben Abzählreime und und und... meine eigentlichen Projekte sind zur Zeit: 
- mit den 1.-3. Klassen erstelle ich Materialkarten zum lernen von deutschen Begriffen und Vokabeln... Zum Beispiel zum Thema "Aktivitäten". Die Schüler stellen eine Aktivität (z.B. schlafen, essen, lesen, rennen, tanzen etc.) dar und ich fotografiere. Am Ende möchte ich die Bilder entwickeln, beschriften und laminieren sodass eine bunte Mischung von Lernkarten und Materialien entsteht! Das macht unglaublich viel Spaß und die Schüler kommen auf immer ausgefallenere und weitere Ideen für die Karten! 
- mit den 4.Klassen drehe ich einen kleinen Musikfilm... Grundlage ist das Sesamstraßenlied. Zunächst habe ich es mit allen mehrmals gehört, gesungen, getanzt, und vor allem übersetzt natürlich ;-) Nun versuchen wir einen Film daraus zu machen. Desweiteren stelle ich mir vor, dass die Schüler im Film, ihre deutschen Lieblingswörter nennen (bisher sind die Favoriten: Fußball spielen, faulenzen, Schmetterlingsflügel... Wurstsalat, Orangensaft...). 
--> Am wichtigsten is es mir dabei, den Schülern mit viel Spaß und Spiel einen Zugang zur deutschen Sprache zu eröffnen... ob das gelingen kann? Ich glaube schon :-D

Ich bin wahnsinnig gespannt was dabei am Ende herauskommt und ob alles so klappt wie ich es mir vorstelle...

Auf jeden Fall kann ich schon jetzt sagen, dass mir die Kinder unglaublich ans Herz gewachsen sind und ich wieder spüre, wie gerne ich endlich mit dem Studium fertig sein möchte um in der Schule zu arbeiten!!!!

 Mir macht jeder einzelne Tag am Colegio unendlich viel Freude. Auch gefällt es mir, dass ich gezwungen bin viel und häufig Spanisch zu sprechen (mit den Schülern sowieso... das ist manchmal zum schreien komisch glaube ich... wenn ich mit Händen und Füßen Sachen beschreibe... aber auch wenn die Kinder in Zeitlupe mit mir reden, in der Hoffnung ich würde sie dann verstehen...) Anfangs war es oft unglaublich frustrierend, eben weder die Kinder noch die Lehrer zu verstehen und mich andersherum ebenso nicht verständlich machen zu können... ABER inzwischen habe ich einige Wochen Sprachkurs hinter mir und kann ganz stolz behaupten, dass ich klitzekleine Fortschritte gemacht habe - Manche Personen in meinem näheren Umfeld meinen sogar es wären Meilensteine, die ich zurückgelegt habe... Auf jeden Fall ist es ein WAHNSINNIG tolles Gefühl jeden Tag ein wenig mehr zu verstehen und auch erzählen zu können... Mal sehen wie weit ich noch komme... 
Aber ich schweife ab... hier geht es um die Schule. Momentan sind ja Ferien (semana santa)... und so komme ich nun auch endlich mal davon, von DER ANDEREN Schule zu berichten, welche ich so oft es nur geht auch noch besuche.. dies werde ich aber gleich in Teil 2, die öffentliche Schule  machen... denn es handelt sich um eine öffentliche Schule in einem weitaus ärmeren Viertel... und die Unterschiede könnten größer nicht sein... Dazu dann später mehr! 

Deswegen viel Spaß beim Weiterlesen und DANKE für das Feedback und die Kommentare... ich freue mich wie immer WAHNSINNIG über jeden einzelnen!!! :-D 
Grüße in die Ferne aus weitweitweg...